
4 Tage? 5 Stunden? Führen in Teilzeit? Die Trends im Bereich Arbeitszeitgestaltung sind vielfältig. Ihnen zugrunde liegt jedoch häufig der Wunsch nach einer reduzierten Arbeitszeit. Dieses Bedürfnis scheint vor allem durch die rasanten Veränderungen unserer Arbeits- und Lebenswelt zu entstehen – Digitalisierung, demografischer Wandel und die COVID-19-Pandemie. Beschäftigte wünschen sich mehr Flexibilität bei ihrer Arbeitszeit und viele Unternehmen versuchen, diesem Wunsch zu entsprechen, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten. Dabei stellt sich die Frage: Welche Formen der Arbeitszeitgestaltung haben langfristig für welche Branchen Zukunft? Wie realisierbar sind reduzierte Arbeitszeitmodelle in mittelständigen und Großunternehmen sowie in Führungspositionen? Diese und weitere spannende Fragen haben wir Prof. Dr. Jutta Rump, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, gestellt.
Aktuell gibt es einige Trends zur Reduktion der Arbeitszeit – Stichwort 5-Stunden-Tag oder 4-Tage-Woche. Diese werden vor allem in Start-ups mit kleineren Belegschaften eingesetzt. Ist dies in mittelständigen und Großunternehmen überhaupt realisierbar? Welche Auswirkungen hätte die Reduktion der Arbeitszeit für Beschäftigte und Unternehmen?
Jutta Rump: Vor der Corona-Krise haben wir beispielsweise die Diskussion um die 28-Stunden-Woche geführt. Denn für viele Menschen gibt es neben Geld eine zweite Währung, nämlich Zeit. Die freie Verfügbarkeit und Souveränität von Zeit. Kleinere Unternehmen, besonders Start-ups, sind dabei besser unterwegs, weil sie sich selbst als Experimentierraum verstehen. Hier lautet die Grundphilosophie: Nicht die Anwesenheit zählt, sondern das, was als Ergebnis rauskommt. Wenn wir reduzierte Arbeitszeiten wie beispielsweise eine 4-Tage- oder eine 28-Stunden-Woche haben, dann gibt es mehr Verschnaufzeiten für die Menschen. Wenn die Menschen dann anwesend sind, arbeiten sie viel produktiver, vielleicht auch effektiver und innovativer. Jetzt fragen Sie, inwiefern das bei größeren Unternehmen ein Thema ist. Je arbeitsteiliger ein Unternehmen ist, je mehr Hierarchien und je stärker die Tradition einer Präsenzkultur, desto schwieriger wird es, dieses Modell umzusetzen. Dahinter steht vor allem eine Philosophie: Wir gehen weg von einer Präsenzkultur, hin zu einer Ergebnis- und Vertrauenskultur. Wenn ein großes Unternehmen diese Philosophie lebt, dann wüsste ich nicht, warum das nicht funktionieren sollte. In der Praxis erlebt man jedoch, dass je größer ein Unternehmen wird, umso mehr übernimmt die Hierarchie des Unternehmens das Sagen und umso mehr herrscht eine Anwesenheitskultur. Dann funktioniert es nicht.
Sie sprechen in Ihrem Aufsatz „Neue Normalität in der Arbeitswelt“ über Zeit als Währung. Wie sieht in dieser Hinsicht eine adäquate Honorierung von Beschäftigten aus?
Jutta Rump: Die Herausforderung wird sein, Zeit als Währung zu definieren, vor allem die Souveränität von Zeit. Das muss sich in den entsprechenden Arbeitszeitmodellen widerspiegeln und damit braucht es eine Beweglichkeit. Es steht ein partizipativer Gedanke dahinter, selbst mit entscheiden zu können, in welchem Zeitmodell gearbeitet wird. Diese selbstbestimmte, souveräne Arbeitszeitgestaltung in der Kombination mit angemessenem Entgelt spielt eine wichtige Rolle. Wenn ich lieber in einer 28-Stunden-Woche lebe, kann das natürlich auch bedeuten, dass mein Entgelt sinkt. Aber dann ist es das Gesamtpaket, das dahintersteht, d.h. ich tausche die Höhe eines Entgeltes ein in eine Kombination aus Souveränität und mehr Zeit für andere Lebensbereiche.
Bislang arbeiten nur wenige Führungskräfte in Teilzeit, jedoch erscheinen in letzter Zeit vermehrt Medienberichte über Führen in reduzierten Arbeitszeiten. Ist Ihrer Meinung nach Führung in Teilzeit für Unternehmen lohnenswert?
Jutta Rump: Grundsätzlich würde ich sagen, das ist möglich. Aber es ist in der unteren Hierarchieebene und im mittleren Management sicher deutlich einfacher als für Top-Führungskräfte. Wenn Sie Geschäftsführer*in von einem Tausend-Mitarbeiter*innen-Betrieb sind, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie in Teilzeit arbeiten können. Es sei denn in Job-Sharing. D.h. er oder sie teilt sich die Vorstandsposition sowie die Aufgaben mit einer anderen Person. Ansonsten ist das ein Full-time-job. Ich glaube auch, es funktioniert nicht im Sinne eines klassischen Teilzeitmodells, sondern eher als teilzeitähnliche Vollzeit, also 75% aufwärts. Zusätzlich ist es immer mit einem ganz starken partizipativen Ansatz verbunden, d.h. ein Teil der Aufgaben wird an die Mitarbeiter*innen delegiert werden müssen.
Im Projekt Zeitreich untersuchten Sie, inwiefern sich Arbeitsorganisation und Arbeitszeit so gestalten lassen, dass sich sowohl für die Arbeitgeber- als auch für die Arbeitnehmerseite eine Win-Win-Situation ergibt. Worin sehen Sie aktuell den größten Zielkonflikt zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen?
Jutta Rump: Der größte Zielkonflikt von beiden Seiten liegt im Fachkräftemangel begründet. Wenn ein Unternehmen nicht ausreichend Fach- und Nachwuchskräfte gewinnen kann, dann gibt es noch zwei verbleibende Strategien. Die erste Strategie ist, dass Mitarbeiter*innen produktiver werden, damit sie die Fachkräftelücke durch ihre Arbeitsleistung auflösen. Diese Produktivitätssteigerung ist mittlerweile häufig verbunden mit der digitalen Transformation. Die zweite Möglichkeit ist, dass Sie aus der Kopfperspektive in die Zeitperspektive wechseln. Sie und ich sind eine Zeitressource, circa 40 Stunden in der Woche. Wir haben in Deutschland relativ viele Teilzeitmodelle und wenn alle Teilzeitkräfte ungefähr ein Drittel ihrer Arbeitszeit erhöhen würden, könnten wir von jetzt bis gleich 3 Millionen Vollzeitäquivalente heben. Als Arbeitgeber könnte mir das bei der Lösung meines Fachkräfteproblems helfen. Also frage ich meine Mitarbeiter*innen, ob sie nicht beispielsweise 33 statt 28 Stunden arbeiten. An dieser Stelle kann es jedoch zu einem Konflikt kommen, denn gesellschaftlich gibt es einen Gegentrend, den wir bereits diskutiert haben. Mehr und mehr Personen wollen ihre Arbeitszeit reduzieren, um Berufliches und Privates besser vereinbaren zu können. Private Interesse kollidieren mit dem Arbeitgeber-Interesse. Dieser Zielkonflikt war die Initialzündung für das Projekt ZEITREICH. Wir wollten Lösungen finden, wie man einen solchen Konflikt vielleicht nicht auflöst, aber zumindest reduziert. Eine mögliche Lösung konnte man in der Corona-Krise erkennen, da viele Mitarbeiter*innen durch Homeoffice geringe Pendelzeiten haben. Wir beobachten seit Mai letzten Jahres zunehmend, dass Arbeitnehmer*innen ihren Unternehmen diese Pendelzeit als Arbeitszeit zur Verfügung stellen. Was Arbeitgeber, die in diesem Zielkonflikt stehen, natürlich mit Kusshand nehmen werden.
Wenn Sie eine Regnose zum Thema Arbeitszeitmodelle abgeben müssten und aus der Zukunft 2050 zurückblicken würden: Welches der Arbeitszeitmodelle setzt sich durch?
Jutta Rump: 2050 ist sehr weit entfernt, lassen Sie mich 2035 nehmen. Ich glaube unsere Arbeitswelt wird sich durch drei Elemente auszeichnen: Eine Flexibilisierung von Arbeitszeiten, hinsichtlich des Volumens sowie der Lage und der Dauer. Wir werden sehr beweglich sein, was das betrifft. In Verbindung mit mobiler Arbeit, dort, wo es möglich ist, kombiniert mit agilen Arbeitsformen. Wir werden eine agile, mobile und flexibel Arbeitswelt haben. Ich glaube in der Flexibilisierung von Arbeitszeit sind wir schon sehr weit, die mobile Arbeit hat durch die Corona-Krise Rückenwind erhalten und Agilität als Arbeitsprinzip wird in einer Welt der permanenten und schnellen Veränderung ein MUSS. Dies wird kombiniert mit einer zunehmenden Individualisierung von Ort und Zeit.
Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Zusätzlich ist sie Direktorin des Institutes für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Trends der Arbeitswelt sowie deren Konsequenzen für das Personalmanagement, Organisationen und Führung.
Das Interview führte Betty Busam
Foto © Simon Wegener