
Wer im Job bestehen will, hat es oft nicht leicht. Kreativität oder intuitives Handeln sind wichtiger denn je. Doch während die Selbstverantwortlichkeit steigt, nimmt auch der Formalisierungsdruck zu. Tätigkeiten müssen dokumentierbar und begründbar sein. Wie dennoch ein präventiver Arbeits- und Gesundheitsschutz gelingen kann, untersucht das Projekt PräFo. Erste Erkenntnisse aus dem Projekt zeigen Marc Jungtäubl und Dr. Margit Weihrich, Forschungseinheit für Sozioökonomie der Arbeits- und Berufswelt der Universität Augsburg, sowie Dr. Stephanie Porschen-Hueck vom ISF München auf.
Selbstbestimmtes Arbeiten wird in der modernen Arbeitswelt immer wichtiger. Gleichzeitig trägt die Digitalisierung dazu bei, dass Arbeit zunehmend formalisiert wird. Ein unvermeidliches Dilemma, in dem sich Beschäftigte befinden?
Marc Jungtäubl: Um ein unvermeidliches Dilemma muss es sich nicht handeln, denn es kommt auf die praktische Umsetzung der Digitalisierung an – und auf die Arbeitsgestaltung selbst. Digitalisierung bedeutet zwar immer Formalisierung. Wenn man aber darauf achtet, wie sich die Einführung neuer Prozesse und Instrumente auf die Arbeit der Beschäftigten auswirkt, können Spannungsfelder und Probleme präventiv vermieden werden.
Dies gilt insbesondere bei selbstbestimmter Arbeit, in der Interaktionsarbeit und Innovationsarbeit geleistet werden müssen, wie das in der technischen Entwicklungsarbeit und in der stationären Krankenpflege der Fall ist.
Das Projekt PräFo unterscheidet zwischen Interaktionsarbeit und Innovationsarbeit. Warum?
Dr. Margit Weihrich: Zwar haben beide Formen von Arbeit gewisse Gemeinsamkeiten: Bei beiden spielen situatives Handeln und informelle Praktiken eine zentrale Rolle, und die jeweiligen Tätigkeitsfelder sind in hohem Maße offen und unbestimmt. Unterschieden wird aber dann aufgrund des Arbeitsgegenstandes. Im Falle der Innovationsarbeit handelt es sich um Materielles wie Maschinen sowie Immaterielles wie Ideen; im Falle der Interaktionsarbeit ist der „Arbeitsgegenstand“ ein Mensch, mit dem anders umgegangen werden muss als mit einem nicht-menschlichen Gegenstand.
Wie hat sich die Arbeit in der Pflege aufgrund der Formalisierung verändert und welche neuen Anforderungen ergeben sich daraus für Beschäftigte?
Marc Jungtäubl: Formalisierung bedeutet für Pflegende, dass sie zunehmend patientenferne, administrative Aufgaben (u. a. Dokumentation) erledigen und sich immer mehr an Maschinen ausrichten müssen. Aufgrund der Ökonomisierung des Gesundheitswesens – als weiterer Treiber von Formalisierung neben der Digitalisierung – wird die Arbeit weiter verdichtet, zergliedert und zum Teil an geringer qualifizierte Beschäftigtengruppen übertragen. Die Verantwortung für die Pflege von Patientinnen und Patienten tragen jedoch weiterhin die examinierten Pflegekräfte. Dequalifizierung und Entprofessionalisierung sind die Folgen. Vor allem aber bringen formalisierte Prozesse die Arbeit an den Patientinnen und Patienten durcheinander, und die Pflegekräfte müssen die neuen Anforderungen so in die Pflegearbeit integrieren, dass gute Arbeit möglich bleibt. All dies greift den Anspruch und Kern originär pflegerischen Handelns und letztlich die Profession selbst an, die sich an wandelnde Bedingungen anzupassen hat.
Und in der technischen Entwicklungsarbeit?
Dr. Stephanie Porschen-Hueck: Mit Blick auf die Formalisierung in der technischen Entwicklungsarbeit werden derzeit häufig agile den sogenannten schwergewichtigen (formalen) Entwicklungsprozessen gegenüber gestellt. Agile Entwicklungsprozesse stehen unter anderem für die Rahmung selbstorganisierter Arbeit. Eine solche Rahmung hängt jedoch von verschiedenen Bedingungen ab, die nicht immer gewährleistet sind. So geraten Beschäftigte häufig in einen Spagat zwischen hierarchischer und agiler Organisation sowie zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Aus diesen Widersprüchen resultieren neue Belastungen.
Gibt es bereits Erkenntnisse im Projekt PräFo, was Unternehmen bei der Planung von Arbeitsprozessen berücksichtigen müssen, wenn sie selbstbestimmtes Arbeiten ermöglichen wollen?
Dr. Margit Weihrich: Eine jetzt schon hervorzuhebende Erkenntnis unseres Projekts ist es, dass bei der Gestaltung von Arbeitsprozessen immer das konkrete Arbeitshandeln in den Blick genommen werden muss und darauf zu achten ist, wie es von (Re-)Organisationsmaßnahmen beeinträchtigt werden könnte. Hierfür sind die Beschäftigten selbst mit einzubinden, denn sie wissen am Besten, was sie für ihre Arbeit brauchen. Dies gilt für die Interaktionsarbeit und die Innovationsarbeit gleichermaßen. Das notwendige situative und informelle Handeln muss anerkannt, wertgeschätzt und nachhaltig gestaltet werden. Wir denken, dass sich hierfür auch die Organisationsstruktur und -kultur verändern müssen.
Mehr zum Projekt PräFo erfahren Sie auf der Projekthomepage www.arbeit-form-zukunft.de. Am 6. Dezember 2017 lädt PräFo zur Veranstaltung „Zwischen Vorgaben und Ansprüchen: Wie viel Formalisierung verträgt selbstbestimmte Arbeit?" im Rahmen der Augsburger Perspektiven ein. Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier.
Das Interview führte Marie Louise Posdzich.